Wer Gott liebt, denkt unablässig an ihn, und unablässig drängt es ihn zu beten. Durch das Gebet erhalten wir die Gnade des Heiligen Geistes; es bewahrt uns vor der Sünde, denn der Geist des Betenden steht in Demut vor dem Angesicht des Herrn.
Am Anfang aber brauchen wir einen geistlichen Führer, denn bevor die Seele die Gnade des Heiligen Geistes empfangen hat, steht sie in besonderen Kampf mit dem Widersacher, und ihm, der ihr seine Verlockungen darbringt, vermag sie allein nicht zu entrinnen.
Lasst uns die Demut Christi üben, dann wird uns der Herr die Seligkeit des Gebetes kosten lassen.
Um rein beten zu können, musst du demütig und sanftmütig sein, und aufrichtigen Herzens musst du deine Sünden bekennen. Sei mit allem zufrieden und deinen Vorgesetzten gehorsam, dann wird dein Sinn frei von eitlen Gedanken, und das Gebet wird dir lieb werden. Denke daran, dass der Herr dich allezeit sieht; beleidige und verurteile deinen Nächsten nicht, betrübe ihn nicht – auch nicht durch deinen Gesichtsausdruck - , dann wird der Heilige Geist dich lieben und dir in allem beistehen.
Wer Gott wirklich liebt, betet ohne Unterlass. Er hat die Gnade im Gebet erfahren. Wohl sind uns zum Beten Kirchen und gottesdienstliche Bücher gegeben, dein inneres Gebet aber geht immer und überall mit dir. – In den Kirchen hält man Gottesdienst, der Heilige Geist wohnt in ihnen. Aber die beste Kirche Gottes ist die Seele; wer in seiner Seele betet, für den wird die ganze Welt zur Kirche.
Betest du nur gewohnheitsgemäß, dann ist dein Gebet immer das gleiche. Betest du aber mit Inbrunst, so wird dein Gebet vielgestaltig: Du kämpfst gegen den Widersacher, gegen dich selbst, mit deinen Leidenschaften; immer aber muss du tapfer sein.Suche den Rat erfahrener Menschen, bitte den Herrn in Demut, und um deiner Demut willen wird er dir Einsicht geben. Der Geist Gottes bezeugt der Seele, wenn unser Gebet dem Herrn wohlgefällt.
Gute Bücher zu lesen ist recht. Aber besser ist es, zu beten. Beim Lesen schlechter Bücher darbt die Seele. Nahrung und Erquickung findet sie nur in Gott. Allein in Gott ist Leben und Friede. Unaussprechlich liebt uns der Herr – und durch den Heiligen Geist erkennen wir seine Liebe.
Wenn du verlangst, mit dem Herzen zu beten, es aber nicht vermagst, so sprich das Gebet mit den Lippen und halte deinen Geist fest an die Worte des Gebetes. Der Herr wird dir mit der Zeit die Innigkeit im Gebet geben, und du wirst ohne Zerstreuung beten können. Versuche nicht durch eine Technik das Gebet im Herzen erzeugen zu wollen – du würdest deinem Herzen nur schaden, und du könntest am Ende nicht einmal mehr mit den Lippen beten. Erkenne die Ordnung des geistlichen Lebens: Gott gewährt die Gabe einer demütigen und aufrichtigen Seele. Sei gehorsam und halte Maß – im Essen, in deinen Worten, in deinen Bewegungen-, dann gibt dir der Herr selbst das Gebet.
Das Unaufhörliche Gebet kommt aus der Liebe, aber wir verlieren es durch die Geschwätzigkeit, durch Unenthaltsamkeit, durch Geringschätzung des Nächsten.
Wer Gott liebt, vermag Tag und Nacht an ihn zu denken – es gibt nichts, was uns daran hindern könnte. So hinderte die Apostel nichts in der Liebe zum Herrn; sie lebten in der Welt und verkündeten das Wort. Der Geist Gottes lehrt uns, überall, auch in der Einöde, zu beten: für alle Menschen, für die ganze Welt. Es ist falsch, anzunehmen, dass wir durch das Gebet in Täuschung und Verblendung fallen könnten. Unser Eigenwille verblendet uns, und nicht das Gebet. Nichts gibt es, was besser für die Seele wäre, als zu beten. Durch das Gebet kommen wir zu Gott. Durch das Gebet gewährt der Herr Demut und Geduld, ja alle Gaben. Wer wider das Gebet spricht, hat gewiß nie erfahren, wie gütig der Herr ist und wie groß seine Liebe zu uns. Von Gott kommt nichts Böses. Die Heiligen beteten unaufhörlich, nicht einen Augenblick waren sie ohne Gebet.
Wer die Demut verliert, wird auch die Gnade und die Liebe zu Gott verlieren, und dann erlischt das Gebet. Wer aber seine Leidenschaften überwunden und die Demut erlangt hat, dem gibt Gott seine Gnade, und er betet für seine Feinde wie für sich selbst – unter heißen Tränen betet er für die ganze Welt.