Viele von denen, die zu leben scheinen, unterscheiden sich nicht von den Toten, wenn sie in Sünde leben; ja sie sind schlimmer dran als die Toten. “Denn wer gestorben ist”, heißt es, “der ist frei geworden von der Sünde” (Röm 6,7); der andere aber ist Sklave der Sünde. Wende mir bloß nicht ein, er werde nicht von den Würmern gefressen, liege nicht im Sarg, habe die Augen nicht geschlossen und sei nicht von Leichentüchern gebunden. Doch er ist schlimmer dran als ein Verstorbener: Zwar fressen ihn nicht die Würmer auf, doch Leidenschaften der Seele, die grausamer sind als wilde Tiere, zerfleischen ihn. Wenn seine Augen auch geöffnet sind, so ist auch das schlimmer, als wenn sie geschlossen wären. Die Augen des Toten sehen nichts Böses; er aber zieht sich mit offenen Augen tausendfaches Unheil zu. Der Tote liegt im Sarg und ist völlig reglos; er aber ist begraben im Grab ungezählter Übel. Seinen Leib aber siehst du nicht verfaulen. Was macht das schon? Noch vor dem Leib ist seine Seele verdorben und zugrunde gerichtet und größerer Fäulnis ausgeliefert. Der Tote riecht zehn Tage lang; er aber verbreitet sein ganzes Leben lang üble Gerüche, und sein Mund ist unreiner als ein Abwasserkanal. Der Unterschied zwischen dem einen und dem anderen besteht darin, dass der eine nur der natürlichen Verwesung unterworfen ist, der andere aber außerdem noch die Fäulnis eines ausschweifenden Lebens mit sich schleppt und tagtäglich tausend weitere Ursachen des Verderbens ersinnt. …
Wäre es nur möglich, die Seele eines Menschen zu sehen, der in Schwelgerei und Sünde lebt, dann würdest du erkennen, dass es weit besser ist, gebunden in einem Grab zu liegen, als mit Ketten der Sünde gefesselt zu sein; besser, einen Grabstein auf sich liegen zu haben als den schweren Deckel der Gefühllosigkeit.
Gerade deshalb, weil diese Toten kein Gefühl mehr besitzen, müssen ihre Angehörigen ihretwegen zu Jesus gehen wie damals Maria wegen Lazarus. Wenn er auch in Fäulnis wäre und das schon vier Tage lang, verzweifle nicht, geh hin und nimm zuerst den Stein fort. Dann wirst du ihn daliegen sehen wie im Grab mit Leichentüchern gebunden. …
Sehen wir doch, wie das Haupt dieser Menschen umbunden ist: Wer sich fortwährend dem Rausch ergibt, dessen Sinne sind ebenso verschlossen und gefesselt wie die Toten in ihren vielen Lappen und Leichentüchern. Willst du auch die Hände betrachten, wirst du merken, dass auch sie wie bei den Verstorbenen fest auf den Bauch gebunden und verschnürt sind, nicht mit Binden, sondern mit den weit schlimmeren Banden der Habsucht. Sie gestattet ihnen nicht, die Hände zum Almosen oder zu einer anderen guten Tat auszustrecken, sondern bewirkt, dass sie nutzloser sind als die Hände der Toten. Willst du auch die gebundenen Füße sehen? Schau, wie auch sie von Sorgen eingeschnürt sind und deshalb nicht imstande sind, ins Gotteshaus zu eilen. …
Da diese Menschen ohne Gefühl sind, als wären sie tot, wollen wir ihretwegen zu Jesus gehen und Ihn bitten, Er möge sie auferwecken. Nehmen wir den Stein fort und lösen ihre Binden! Wenn du den Stein wegnimmst, d.h. die Gefühllosigkeit für das Böse, wirst du sie schnell aus der Gruft herausholen können. Hast du sie hinausgeführt, wirst du sie leicht von den Fesseln lösen. Dann wird Christus dich erkennen, wenn du auferstanden und befreit bist; auch dich wird Er zu Seinem Mahl einladen. Wenn ihr Christi Freunde seid, wenn ihr Seine Jünger seid, wenn ihr euch um einen Dahingegangenen liebevoll sorgt, geht zu Jesus und bittet Ihn. Wenn der Tote auch voll übler Gerüche ist, dürfen seine Angehörigen ihn trotzdem nicht im Stich lassen, sondern müssen erst recht zu Jesus gehen; so machten es damals ja auch die Schwestern des Lazarus. Nicht eher dürfen wir aufhören zu beten, zu bitten, zu flehen, bis wir den Toten lebend zurückerhalten.