Die Mutter Gottes lebte sechzig Jahre hier auf Erden. Sie freute sich darauf, von der Erde in den Himmel zu gelangen, zu ihrem Sohn und Gott, und betete inbrünstig zu Ihm darum. Der Herr erhörte die Gebete seiner Mutter und teilte ihr dies drei Tage vor ihrem Heimgang mit. Am Tag ihres Entschlafens wollte die Allgepriesene die Apostel sehen: und alle außer Thomas wurden auf Wolken aus verschiedenen Ländern der Welt zu ihrem Haus gebracht. Alle, die sie kannten, versammelten sich hier. Sie trauerten und weinten über die Trennung von ihr. Sie tröstete alle und versicherte, dass sie sie nicht vergessen würde und noch inniger für sie zu Gott beten, um Gnade und Erlösung für sie bitten würde. In der Stunde ihres Scheidens aus dem irdischen Leben reinigte die Heilige Jungfrau ihr Gemach, entzündete eine Vielzahl von Lampen an, beräucherte es mit Weihrauch, legte sich auf ihr Bett und hauchte ihr Leben aus. Der Erlöser erschien mit den Engeln, empfing ihre heilige Seele und brachte sie zu sich zum Ort seiner Herrlichkeit, zu den paradiesischen Wohnstätten. Die Apostel nahmen den Leichnam der Muttergottes, unter Gesang und Gebeten beerdigten sie ihn in einer Höhle im Garten Gethsemane. Drei Tage später kam der Apostel Thomas nach Jerusalem. Als er erfuhr, was geschehen war, weinte und trauerte er. Um ihn zu beruhigen, beschlossen die Apostel, ihm den Leichnam der Muttergottes zu zeigen, doch als sie die Höhle öffneten, stellte sich heraus, dass sie leer war. Sie fanden darin nur die Gewänder der Allerheiligsten Gottesmutter. Dies überraschte alle. Sie begannen zu beten, um herauszufinden, was passiert war. Am Abend dieses Tages erschien die Mutter Gottes mit Engeln in der Luft und sagte zu den ratlosen Aposteln: Freut euch! Ich bin hier und werde nicht aufhören, für die christliche Welt zu beten.
So, meine Lieben, war das ruhmreiche Ende der Gottesmutter. Wohin führt uns gedanklich diese Geschichte des Feiertags? Stellt sich nicht jeder von uns auch solche Fragen: Was wird nach unserem Tod sein? Wird ein geheimer Bote zu uns kommen, um unseren Tod anzukündigen? Oder vielleicht wird uns der Tod unerwartet wie ein Dieb überfallen. Wird unser Tod ruhig sein, oder wird unser Leben vielleicht in schrecklicher Qual und mit Schrecken enden? Ja, meine Lieben, „Wo ist der Mann, der ewig lebt und den Tod nicht schaut“ (Ps 88,49). Der Gedanke an den Tod ist unangenehm, die Tatsache, dass er stirbt, ist düster und schrecklich. Wir können es jedoch weder beseitigen noch vermeiden. Der Tod ist ein allgemeines, unvermeidliches Los. Was sollen wir in einem solchen Fall tun? Sollten wir uns im Trubel unserer weltlichen Angelegenheiten ständig vergessen und nur an ihn denken, an den Tod? Es wäre unsererseits ziemlich leichtsinnig und unvorsichtig, wenn wir ständig vom Tod hören und seine Ernte sehen, und nicht darüber nachdenken, wie es ein wahrer Christ tun sollte. Lasst uns den Tod nicht fürchten. Nur für Ungläubige ist er furchteinflößend, aber für uns Christen ist es eine helle Tür zum gesegneten, ewigen Leben. Wir sollten uns nur öfter daran erinnern.
Egal wie lange du in dieser Welt lebst, so oder so wirst du sterben und in ein anderes, ewiges Leben hinübergehen. Aber die Frage ist: Bereiten wir uns auf das zukünftige Leben vor? Hat uns das irdische Leben zu sehr belastet? Jeder von uns sollte darüber Rechenschaft ablegen, und nun werden wir zu unserer Belehrung das folgende Gleichnis erzählen und es auf uns selbst beziehen. „Der Bewohner einer Großstadt hatte ein eigenes Haus, konnte aber bis zu dem bekannten Zeitpunkt aufgrund gewisser Umstände nicht einziehen und lebte deshalb in einer Mietwohnung. Obwohl er sehr gut wusste, dass er sie wird verlassen müssen, scheute er bei der Einrichtung seiner Wohnung weder Kosten noch Mühen, um es schön und behaglich einzurichten. Sein eigenes Haus aber vergaß er völlig, und wenn ihm manchmal der Gedanke daran kam, dann vertrieb er diese Erinnerung wegen seiner Blindheit weit von sich. Und wie ging es weiter? Als der bewusste Zeitpunkt gekommen war (und er kam plötzlich und unerwartet), die Wohnung zu verlassen und in sein eigenes Haus umzuziehen, stellte sich heraus, dass es sich nicht um eine Unterkunft, sondern um eine Höhle handelte. Denn sie war ohne jegliche Aufmerksamkeit geblieben, es hatten sich eklige Verunreinigungen angesammelt, Schlangen und verschiedenste Arten Ungeziefer. Der unglückliche Hausbesitzer war gezwungen, ein so verunreinigtes Haus zu betreten. Das Unangenehmste von allem war jedoch, dass es ihm jetzt nicht möglich war, das Haus zu reinigen oder das Gewürm, das sich angesiedelt hatten, zu vertreiben. So zog der nachlässige Hausbesitzer von seiner prächtigen Wohnung aus, um ewig in seinem Haus zu leben. Ohne Zweifel bedauerte und trauerte er über seinen Wahnsinn, machte sich Vorwürfe und verfluchte sich sogar, aber das alles war die Stimme eines Rufers in der Wüste, die Zeit war unwiderruflich verloren und es war bereits unmöglich, etwas zu verändern. Die Bedeutung des Gleichnisses ist klar: Der Hausbesitzer ist jeder von uns, die Wohnung ist diese sündige Welt, das eigene Haus ist die Wohnstatt beim Vater in der Ewigkeit.
Herr! Schenke uns Sündern, die an die Güter dieser Welt gebunden sind, durch die Gebete Deiner reinsten Mutter ein beständiges Gedächtnis an die letzte Stunde unseres Lebens und an diesen großen Moment, wenn wir vor Deinem Angesicht stehen werden, um Rechenschaft abzugeben über unser gesamtes irdisches Leben. Amen.
Hl. Alexij Metschjow am 15. (28.) August 1914