Priester mit der Ikone des Heiligen Bischofs Johannes
Der Gedenktag der Heiligen, die in den russischen Landen lebten, weist uns auf jenen geistlichen Himmel hin, unter dem die russische Erde erschaffen wurde und existierte. Vor dem Heiligen Großfürsten Wladimir lebten heidnische, sich gegenseitig bekämpfende Stämme in diesen Gegenden. Der Heilige Fürst Wladimir brachte ihnen einen neuen Glauben, ein neues Bewusstsein, den Sinn des Lebens, einen neuen inneren, geistlichen Zustand, gab ihnen einen neuen, alle vereinenden Lebensgeist, und so wurde ein einiges Volk geformt.
Die bloße Existenz des russischen Volkes ist mit der Geburt des geistigen Lebens in ihm verbunden, mit der Verinnerlichung der Grundlagen der christlichen Weltanschauung. Es ist sinnlos, den Sinn und Zweck des Lebens im irdischen Leben zu suchen, das mit dem Tod endet. Wir müssen danach streben, uns das göttliche, gnadenvolle, ewige Leben anzueignen, und dann wird auch dieses vorübergehende, irdische Leben geordnet: Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben (Mt 6, 33).
Der Glaube, die orthodoxe Kirche, vereinte unterschiedliche Stämme zu einem Volk, und die wichtigste Eigenschaft der russischen Menschen war ihr Glaube an das Reich Gottes, die Suche danach, die Suche nach der Gerechtigkeit. Um des Reiches Gottes willen und die Teilhabe daran sowie um des Gebets willen verließen russische Asketen das weltliche Treiben und zogen in Wälder sowie auf unbewohnte Inseln. Sie suchten allein das Reich Gottes, sie wollten nichts erschaffen oder erbauen, sie verließen die Gesellschaft der Menschen, aber die Menschen folgten ihnen um des Reiches Gottes willen nach, um auf diesen Inseln und Wäldern zu sein, wo diese Gerechten Gottes waren, und so wuchsen Klöster und Siedlungen.
Die Suche nach der Gerechtigkeit ist die Lebensgrundlage des russischen Volkes. Es ist kein Zufall, dass die erste schriftliche Gesetzessammlung, die das Leben des Volkes ordnen sollte, “Russische Gerechtigkeit” genannt wurde. Über den Himmel, das Reich Gottes, dachten nicht nur jene nach, die vor der Welt und den Menschen flohen, sondern alle gläubigen russischen Menschen verstanden den Sinn des Lebens. Alle, die am Aufbau Russlands als Staat beteiligt waren, die in der Welt lebten und ihrer Verantwortung nachkamen, sahen als das Wichtigste an, dem Reich Gottes und der Göttlichen Gerechtigkeit ergeben zu sein.
In Russland lebten Fürsten, Heerführer, Herrschaften, Menschen aller Schichten und Berufe, aber ihr Grundverständnis und Streben sowie der Sinn des Lebens richtet sich auf den Erwerb des Reiches Gottes und die Teilhabe daran. Der Hl. Alexander Newski leistete sein ganzes Leben Großartiges als Heerführer und Staatsmann. Er durchquerte reitend Sibirien auf dem Weg zum tatarischen Khan, um Frieden in Russland zu erreichen. Er wurde berühmt für seine militärischen Siege, aber als er krank wurde und der Tod näher kam, nahm er diesen an als Befreiung von den Mühen des irdischen Lebens. Vor seinem Lebensende gab er sich dem hin, was seiner Seele am liebsten war, und nahm die Mönchsweihe entgegen, um in das ersehnte Reich Gottes einzutreten und wandelte sich von einem irdischen Krieger zu einem Krieger Christi.
Auch Fürst Fjodor von Smolensk nahm vor seinem Tod das Mönchtum an. Solche geistlichen Führer des russischen Volkes brachten durch ihr Streben nach dem Reich Gottes am besten den Grundzug des geistlichen Lebens im Volk zum Ausdruck, jene starke Kraft, die sein historisches Leben leitete. Die Annahme des christlichen Glaubens veränderte auch die russischen Fürsten. …
Der heilige Fürst Wladimir gab dem russischen Volk einen neuen Lebenssinn und eine neue Vitalität. Katastrophen, Misserfolge, Niederlagen sind machtlos gegenüber der Hauptkraft des Lebens, machtlos gegenüber dem geistlichen Leben. Das Reich Gottes, die geistige Freude durch die Teilnahme daran bleiben unberührt. Ein schrecklicher Sturm zieht vorbei, und der Mensch lebt wieder auf. So lächelten die Märtyrer aus dem freudigen Gefühl der Gnade Gottes während der grausamsten Qualen. Hieraus erwächst die Lebenskraft Russlands. Katastrophen treffen nicht ihr Herz. Die Tataren brandschatzten ganz Russland. Kiew fiel, und im selben Jahr erhob sich Nowgorod, und mit ihr der große Befehlshaber und Anführer des russischen Volkes, der Gott liebende Fürst Alexander Newski.Doch er führte das russische Volk nicht zum Kampf mit den Tataren, die den Leib Russlands quälten, sondern mit den katholischen Schweden, die das Unglück Russlands ausnutzen wollten, um die Seele des russischen Volkes zu erobern und die geistige Macht des russischen Volkes und von Russland selbst zu töten. Für Alexander Newski war es vor allem notwendig, diese geistliche Stärke zu bewahren.
Die Geschichte des Aufstiegs Moskaus ist eine lebhafte Bestätigung derselben Idee. Bei seiner Gründung war Moskau eine kleine städtische Siedlung. Aber es wurde von edlen Fürsten geleitet, die sich das angedeutete orthodoxe Gerechtigkeitsverständnis angeeignet hatten. Als der heilige Metropolit Pjotr dem Fürsten sagte, dass Moskau erhöht und der Heilige selbst dort leben und begraben werden würde, wenn der Fürst in Moskau ein Haus für die Allerheiligste Gottesgebärerin baut, dann erfüllt der Fürst dieses Vermächtnis. Mit anderen Worten, der heilige Pjotr sagte, wenn der Fürst der Orthodoxie bis zum Ende treu ist und zuallererst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit sucht, dann wird alles andere, das weltliche, alltägliche, staatliche hinzugefügt. Dies ist die Absicht Moskaus, und es war dem Testament des heiligen Petrus treu, und der nächtliche Appell der Militärwache an den Kremlmauern erfolgte mit den Worten: „Allerheiligste Gottesgebärerin, rette uns.“ Das bedeutet nicht, dass sowohl das Leben als auch die Menschen heilig waren! Oh nein! Menschen sind immer sündig, aber es ist wichtig, ja rettend, wenn es das Bewusstsein von Gut und Böse gibt, wenn es das Streben nach Gerechtigkeit gibt, denn dann kann es zu einem Aufstehen aus den Tiefen des Falls kommen.
Das sündige Moskau, die Hauptstadt des sündigen Russlands, fiel in seiner Geschichte zu Boden, stieg wieder auf, weil das Gerechtigkeitsbewusstsein nicht starb. In der Zeit der Wirren fiel Russland so schwer, dass alle seine Feinde sicher waren, dass es tödlich getroffen ist. In Russland gab es keinen Nachfolger auf dem Zarenthron, keine Macht und keine Truppen. In Moskau waren Ausländer an der Macht. Die Menschen fielen der “Kleingläubigkeit” zum Opfer, wurden schwach und warteten auf die Erlösung durch Ausländern, die ihnen schmeichelten. Der Tod war unvermeidlich, und Russland würde unweigerlich zugrunde gehen, wenn das Bewusstsein der Gerechtigkeit vollständig verloren ginge. Aber Russland, das russische Volk, wurde vom Hl. Jermogen gerettet. Die Feinde Russlands hielten ihn in einem Kellerverlies, im Kreml gefangen, verspotteten ihn, folterten ihn, versuchten, ihn zur unterwerfen, damit er das russische Gerechtigkeitsverständnis verraten würde. Der Heilige Patriarch Jermogen wurde zu Tode gefoltert, aber geistlich konnten sie ihn nicht brechen und so rief er durch seinen Tod Russland auf seinen historischen Weg eines christlichen Staates mit einer christlichen Herrschaft zurück, berufen, sich an die Gerechtigkeit zu erinnern und ihr treu zu bleiben.
So verhalf der heilige Jermogen dem russischen Volk, geistlich und moralisch im Glauben und Bekenntnis wiedergeboren zu werden. Es begab sich erneut auf den Weg, das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zu suchen, die Wahrheit, das irdische Staatsleben dem geistlichen Prinzip unterzuordnen, und Russland erhob sich.
In der Geschichte findet man nirgends einen solch tiefen Niedergang des Staates und eine so schnelle, innerhalb eines Jahres, wundersame Wiederherstellung, die die Menschen geistlich und moralisch wieder aufbaute. Dies ist die Geschichte Russlands, die ist sein Weg.
Nach Peter I. ist das öffentliche Leben [in Russland] vom russischen Weg abgewichen. Obwohl es nicht vollständig abwich, verlor sie die Klarheit des Bewusstseins der Gerechtigkeit, die Klarheit des Glaubens an die Wahrheit des Evangeliums: Sucht zuerst das Reich Gottes und Seine Gerechtigkeit!
Das schreckliche Leiden des russischen Volkes ist eine Folge des Verrats Russlands an sich selbst, seinem Weg, seiner Berufung. Aber diese schweren Leiden, die Melancholie des Lebens unter der Herrschaft blutgieriger Atheisten sagen uns, dass das russische Volk das Bewusstsein für die göttliche Gerechtigkeit noch nicht vollständig verloren hat, dass die Unwahrheit eines gottlosen Staates und einer gottlosen Macht für sie geistlich und moralisch schwer zu ertragen ist. Russland wird auf die gleiche Weise wieder erstehen, wie es in früheren Jahren wieder erstanden ist. Es wird wieder erstehen, wenn der Glaube aufflammt. Wenn die Menschen geistlich auferstehen, wenn es für sie wieder wertvoll wird, einen klaren, festen Glauben an die Gerechtigkeit und die Wahrheit der Worte des Erlösers zu haben: Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben (Mt 6, 33). Russland wird auferstehen, wenn es den Glauben und das Bekenntnis der Orthodoxie zu leben beginnt, wenn es die orthodoxen Gerechten und Bekenner sehen und lieben wird.
Heute, am Tag Aller Heiligen, die in den russischen Landen gelebt haben, weist die Kirche auf sie hin, und die Orthodoxen sehen mit geistlicher Freude, wie viele von ihnen es im Reich Gottes gibt! Und wie viele sind noch gar nicht verherrlicht, sie sind unzählbar. Hier geht still und furchtlos Metropolit Wladimir von Kiew in den Tod. Die Mörder führen ihn aus den Toren der Lawra, um ihn außerhalb der Stadt zu töten, wie sie den Herrn, den Erlöser, getötet haben, und der Heilige wird still wie ein Schlachtlamm den Tod für Christus, für den Glauben und für die russische Kirche annehmen, für sein Streben zuerst das Reich Gottes zu erwerben, das ewige Leben zu erlangen.
Es gibt eine ungeheure Anzahl von Märtyrern und Bekennern. Wieder sehen wir Gottes Segen über ihre Glaubensleistung durch die Manifestation ihrer unvergänglichen Reliquien. Es sind die Leiber der Gerechten, die bereits nach den Gesetzen des künftigen Lebens lebten, wo es weder Leid noch Schmerz gibt, und die Unverweslichkeit der Gebeine zeugt davon. So bezeugen uns die sterblichen, unverwesten Überreste der Heiligen Großfürstin Elisabeth Feodorowna, die jetzt im Gethsemane-Kloster ruhen, von ihrer Gerechtigkeit in den Augen Gottes.
Russland wird auferstehen, wenn es seine Augen erhebt und sieht, dass alle Heiligen, die in den russischen Landen gelebt haben, jetzt im Reich Gottes leben, dass in ihnen der Geist des ewigen Lebens wohnt, dass wir bei ihnen sein sollen, sie geistlich berühren und so teilhaben dürfen an ihrem ewigen Leben. Das ist die Rettung Russlands und der ganzen Welt.
In Russland gibt es keinen Lebensgeist, keine Lebensfreude. Alle haben Angst vor ihr, wie sie Angst vor Dämonen haben. Russland war früher für andere Mächte genauso schrecklich durch jenes, wodurch es die Völker anzog.
Die Treue zum Gebot „Sucht zuerst das Reich Gottes und dessen Gerechtigkeit“ schuf die russische Demut, die auch die Staatsmacht demütigte. In den Tagen des größten irdischen Ruhms bekannte sich die russische Staatsmacht durch den Mund von Zar Alexander I als christliche Macht und verewigte es auf dem Denkmal seines Ruhmes: Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, nicht uns, sondern deinen Namen, in deiner Huld und Treue! (Ps 115, 1).
Der russische Himmel, die russischen Heiligen rufen uns, bei ihnen zu sein, wie sie bei uns sind. Sie rufen uns, am Geist des ewigen Lebens teilzuhaben, und die ganze Welt sehnt sich nach diesem Geist. Ein wiederhergestelltes Russland wird von der ganzen Welt benötigt, aus der der Lebensgeist gewichen ist und die vor Angst schwankt wie bei einem Erdbeben.
Russland wartet auf eine Christus liebende Armee, Christus liebende Zaren und Führer, die das russische Volk nicht wegen des irdischen Ruhms, sondern wegen der Treue gegenüber dem russischen Weg der Gerechtigkeit führen werden. Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, nicht uns, sondern deinen Namen. Möge das russische Land in Reue und im Glauben erneuert werden und möge die Heilige Rus auferstehen.