Das Fastentriodion des Hl. Metropoliten Peter Mogila von Kiew, 1646
Die Große Fastenzeit hat ihr eigenes liturgisches Buch: das Triodion der Großen Fastenzeit. Dieses Buch enthält alle Hymnen (Stichiren und Kanones), biblische Lesungen für jeden Tag der Fastenzeit, die Ordnung der Gottesdienste, beginnend mit dem Sonntag des Zöllners und des Pharisäers und endend mit dem Großen und Heiligen Samstag. Die Gesänge des Triodions wurden zum größten Teil nach dem faktischen Verschwinden der "Katechumenen" ( Erwachsene, die sich auf ihre Taufe vorbereiten) komponiert. Deshalb sprechen und betonen sie hauptsächlich nicht die Taufe, sondern die Umkehr, Buße. Leider kennen derzeit nur sehr wenige Menschen die Schönheit und Tiefe dieser Fastengottesdienste.
Die Unkenntnis des Triodions ist der Hauptgrund dafür, dass der Sinn und die Bedeutung des Fastens im christlichen Denken allmählich anders verstanden wurden. Das Fasten verwandelte sich allmählich in eine besondere Zeit, in der man rein formal bestimmte „Vorschriften“ und Essenseinschränkungen beachtete. Die wahre Inspiration und der Mahnruf der Großen Fastenzeit sind jetzt fast verloren gegangen, und der einzige Weg, sie wiederzuerlangen, besteht darin, allen Gesängen des Triodion aufmerksam zu lauschen.
Achten wir zum Beispiel darauf, wie oft wir in den Stichiren vor dem „formalen“ und damit heuchlerischen Verständnis des Fastens gewarnt werden. Schon am Mittwoch der Woche des Fleischverzichts hören wir:
Wenn du der Speisen dich enthältst und nicht von Leidenschaften frei dich machst, o meine Seele, dann rühmest du vergebens dich des Fastens. Denn wenn du nicht den Willen, dich zu bessern, hast, wirst wie ein Lügner du von Gott gehaßt. Und den schlechtesten Dämonen wirst du gleich, die niemals Speise zu sich nehmen. Nimm also durch die Sünde dem Fasten nicht die Kraft, nein, bleibe unvernünftigen Trieben fest verschlossen. Zeig, daß neben dem Gekreuzigten dein Ort, mehr noch, daß du mit ihm dich lässest kreuzigen, ihm, der um deinetwillen ward gekreuzigt, ruf zu ihm: Gedenke mein, o Herr, wenn du kommst in dein Reich.
Oder dieses Stichiron am Mittwoch der 4. Fastenwoche:
Die im Geheimen Tugenden wirken und geistigen Lohn gewinnen dafür, brüsten sich dessen nicht auf den Straßen, nein, tragen vielmehr ihn heim inmitten der Herzen. Und der, der aller Werk sieht, das im Geheimen geschieht, reicht uns dar der Enthaltung Lohn. Laßt uns die Fasten vollenden nicht mit finsterm Gesicht. Nein, in unserer Seele Kammern lasset uns bitten, endlos lasset uns rufen: Vater unser, der du bist in den Himmeln, führe uns nicht, so bitten wir, in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.
Während der ganzen Großen Fastenzeit sprechen die Stichiren ständig vom Gegensatz zwischen der Demut des Zöllners und dem Selbstlob des Pharisäers und der Verurteilung der Heuchelei. Worin besteht nun das echte Fasten? Das Triodion antwortet uns diesbezüglich: zunächst einmal in der inneren Reinigung.
Lasset uns halten ein annehmbar Fasten, das wohlgefällig dem Herrn. Das wahre Fasten ist die Flucht vor den Sünden ist der Zunge Beherrschung, die Enthaltung vom Zorn, die Abwehr von Begierden, von übler Nachrede, von Lüge und Meineid. Die Enthaltung von diesem ist wahrhaftes, wohlgefälliges Fasten.
Aber auch zur Liebe sollen wir zurückkehren; es ist ein Kampf gegen ein „vergeudetes Leben“, gegen Hass, Ungerechtigkeit, Neid:
Da wir leiblich fasten, ihr Brüder, laßt uns auch geistig fasten. Lösen laßt uns jegliche Fessel der Sünde. Zerbrechen laßt uns die Schlingen unerlaubten Umgangs. Jede ungerechte Urkunde laßt uns zerreißen. Den Hungernden laßt geben uns Brot und obdachlose Bettler laßt uns hineinführen in unsre Häuser, damit wir erlangen von Christus, dem Gott, das große Erbarmen.
Kommt, Gläubige, lasset uns verrichten im Lichte die Werke des Lichtes. Wie bei Tage lasset uns in Ehrbarkeit wandeln. Jeden ungerechten Vertrag mit dem Nächsten laßt uns aus eigenem Antrieb vernicht. Nicht laßt uns ihm werden zum Anlaß der Sünde oder zum Ärgernis. Laßt uns enthalten uns von der Wollust des Fleisches, lasset mehren uns die Gnaden der Seele. Den Notleidenden Brot reichen wollen wir und hintreten zu Christus, in Reue rufen: O unser Gott, hab Erbarmen mit uns.
Wie weit sind wir in der Zeit, in der wir diese Stichiren hören, von dem derzeit vorherrschenden pharisäischen Fastenverständnis entfernt, das eine ausschließlich negative Einstellung zum Fasten als bekannte „Unannehmlichkeit“ festlegt, der wir uns freiwillig zuwenden , zustimmen. „Leiden“, die uns aber automatisch als unser „Verdienst“ angerechnet werden und uns zur „Rechtfertigung“ vor Gott bringen. Wie viele Menschen stimmen der Vorstellung zu, dass das Fasten eine Zeit ist, in der etwas Angenehmes und Gutes an sich verboten ist, als ob es dem Herrn ein Vergnügen wäre, uns zu quälen. Für die Schöpfer der Fastenstichiren bedeutet Fasten jedoch genau das Gegenteil; es ist eine Rückkehr zum „normalen“ Leben, zu jenem „Fasten“, gegen das Adam und Eva verstoßen haben, wodurch Leid und Tod in die Welt kamen. Daher wird die Große Fastenzeit als spiritueller Frühling begrüßt, als Zeit der Freude und des Lichts:
Frühling im Kloster
Der Fasten Frühling stieg empor, der Reue Blüte sproßte auf…
In überquellender Freude, ihr Gläubigen, laßt aufnehmen uns die gottgegebene Botschaft der Fasten wie die Niniviten einstmals, wie später die Huren und Zöllner des Johannes Aufruf zur Reue.
Freudig lasset uns, Völker, die Fasten begrüßen. Denn gekommen ist der geistigen Kämpfe Beginn. Die Fleischeslust lasset uns fliehen, der Seele Gnaden uns mehren. Laßt uns als Christi Knechte Böses erleiden mit ihm, damit wir mit ihm als Kinder Gottes Ruhm auch erjagen. Der Geist, der Heilige, der in uns wohnt, soll unsere Seelen erhellen.
Der Fasten Botschaft laßt uns aufnehmen in überquellender Freude. Denn hätte unser Erzvater geachtet auf sie, nicht hätten wir aufgebürdet uns die Verbannung aus Eden.
Fröhliche Zeit ist die Zeit der Fasten. Drum laßt uns mit strahlender Reinheit und lauterer Liebe und licht hellem Flehen und aller anderen Tugend uns reichlich versehen und leuchtend lasset uns rufen:
Nur diejenigen, die sich „des Herrn freuen“, für die Christus und sein Reich die höchste Sehnsucht und Freude ihres Lebens sind, können den Kampf gegen das Böse und die Sünde freudig annehmen und am endgültigen Sieg über sie teilhaben. Deshalb wenden wir uns in jedem Fastengottesdienst ausschließlich an die Märtyrer unter allen Heiligen, nur sie werden in speziellen Stichiren, die ihnen gewidmet sind, gepriesen. Und zwar weil es die Märtyrer waren, die Christus allem anderen auf der Welt vorzogen, einschließlich dem Leben selbst. Sie freuten sich so sehr in Christus, dass sie zusammen mit dem Hl. Ignatius von Antiochia sterbend sagen konnten: "Jetzt fangen wir an zu leben" ... Sie sind Zeugen des Reiches Gottes, denn nur wer seine Süße gesehen und geschmeckt hat, ist zu solch höchster Selbstvergessenheit fähig. Sie sind unsere Gefährten, unsere Inspiration während der Großen Fastenzeit, die für uns gerade die Zeit des Ringens um die Wiederherstellung des göttlichen, himmlischen und ewigen Anfangs in unserer Seele ist.
Für Eines nur lebten sie, nach Einem nur strebten sie, die Martyrer-Sieger im Streit. Als einzigen Weg zum Leben erkannten den Tod sie für Christus,...
Ihr legtet herrlich euch an den Panzer des Glaubens, bewaffnetet euch mit dem Zeichen des Kreuzes und als starke Streiter erwieset ihr euch. Den Tyrannen widerstandet ihr tapfer, vernichtetet den Irrwahn des Teufels. So habt den Sieg ihr errungen und wurdet gewürdigt der Kränze. Flehet zu Christus für uns, unsere Seelen zu retten.
Vierzig Tage lang sind das Kreuz des Herrn, seine Auferstehung und die strahlende Freude von Pascha das Hauptthema aller Fastenlieder, eine ständige Erinnerung daran, dass der Weg, egal wie schwierig und schmal er auch ist, letztendlich zum Gastmahl Christi in Seinem Königreich führt. Wie ich bereits gesagt habe, zieht sich die Erwartung und der Vorgeschmack auf die Osterfreude durch die gesamte Fastenzeit und verleiht der vorösterlichen Askese seine wahre Bedeutung.
Nach der Teilnahme am göttlichen Pascha uns sehnend, das nicht aus Ägypten kommt, sondern aus Sion, lasset uns der Sünde Sauerteig fortschaffen durch Reue... Nein, folgen lasset uns dem, der wider den Teufel durch Fasten uns zeigte den Sieg, dem Heiland unserer Seelen.
Der Fasten-Triod ist ein unbekanntes, vergessenes Buch! Wenn wir nur verstehen würden, dass wir darin die Wiederbelebung finden, um nicht nur den Geist der Großen Fastenzeit, sondern der gesamten Orthodoxie wiederzuerlangen, jenen Geist der „österlichen“ Lebensweise, des Todes und der Ewigkeit.
Erzpriester Alexander Schmemann, Die Große Fastenzeit
(Übersetzung aus dem Russischen)
Quelle: azbyka.ru