Wie erlangt der Mensch diese heilbringende Erkenntnis seiner selbst, eine Erkenntnis, die ihm die volle, unendliche Bedeutung des Opfers Christi erschließt? Der heilige Ignatij beantwortet diese Frage folgendermaßen:
Ich sehe meine Sünde nicht, weil ich immer noch für die Sünde arbeite. Wer sich an der Sünde erfreut und sie sich schmecken lässt, und sei es nur in seinen Gedanken und Gefühlen im Herzen, kann seine eigene Sünde nicht sehen. Nur der kann seine eigene Sünde sehen, der jeder Freundschaft mit der Sünde entsagt, der zu den Toren seines Hauses hinausgegangen ist, um sie mit einem gezückten Schwert - dem Wort Gottes - zu bewachen; der mit diesem Schwert die Sünde abwehrt und abschneidet, in welcher Form sie sich auch nähert.
Gott wird denen eine große Gabe gewähren, die diese große Aufgabe erfüllen, der Sünde Feind zu werden; indem sie gewaltsam Geist, Herz und Körper von ihr wegreißen. Diese Gabe ist die Schau der eigenen Sünden.
An anderer Stelle gibt er den folgenden praktischen Rat: Wenn man aufhört, seine Nächsten zu verurteilen, beginnen seine Gedanken ganz natürlich, die eigenen Sünden und Schwächen zu zeigen, die er bislang nicht sehen konnte, weil er mit dem Richten seiner Nächsten beschäftigt war. Der heilige Ignatij drückt seinen Hauptgedanken über die Bedingungen für die Selbsterkenntnis durch die folgenden bemerkenswerten Worte des heiligen Symeon der Neue Theologe aus: "Die akribische Befolgung der Gebote Christi belehrt den Menschen über seine Schwachheit", d.h. sie offenbart ihm das traurige Bild dessen, was wirklich in seiner Seele wohnt und was dort geschieht.
Die Frage, wie man die Schau seiner Sünden oder die Erkenntnis seiner Selbst, des eigenen Ichs, erreicht, steht im Mittelpunkt des geistlichen Lebens. Der heilige Ignatij hat die Verbindung wunderbar aufgezeigt: Nur wer sich selbst als einen Untergehenden sieht, braucht den Erlöser; die "Gesunden" (vgl. Mt 9,12) hingegen haben Christus nicht nötig.
Wenn man also auf orthodoxe Art an Christus glauben will, wird diese Schau zum Hauptziel seiner asketischen Arbeit und gleichzeitig das Hauptkriterium für ihre Echtheit.