Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 35

12. August 2022

geistlichen kinder

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Ich habe O. geschrieben, dass derjenige, der ernsthaft das Reich Gottes suchen will, alleine leben sollte und dass der Herr demjenigen, der diesen Weg geht, Tröstung wiederfahren lässt, in deren Angesicht alle irdischen Freuden nichtig sind. Es reicht, nicht zurück zu schauen, wie dies auch Ignatius (Brjantschaninow) nicht getan hat.

Hat Nikolaj Germanowitsch gesagt, was in Nummer 11 über die Freimaurer geschrieben wurde? Lies es aufmerksam durch. Wir alle sollten Weisheit erbeten, denn es gibt auch die teuflische Weisheit (Jak. 3,15).

Die Menschen sind in der Tiefe ihres Wesens besser, als sie es im Leben zeigen. Die eine Sache hierbei ist das Abbild Gottes, etwas anderes die Gnade, die einem im Sakrament der Taufe geschenkt worden ist. Das Abbild ist die Persönlichkeit des Menschen, sein Ich. Es ist eine große Gabe Gottes. Aus dem Nichtsein ist ein neues Zentrum, das sich seiner selbst bewusst ist, entstanden. Das Ich steht hier auf gleicher Ebene mit dem gesamten Kosmos, denn das Ich als Person, die sich ihrer selbst bewusst ist, hat als Objekt nicht nur die gesamte Schöpfung, sondern auch Gott als Gegenüber. Das Ich versucht die gesamte Schöpfung und auch Gott selbst zu erkennen, zu vernehmen, also zu nehmen und in sich aufzunehmen. Ihr seid Götter, die Söhne des Höchsten. Dieses Erkennen ist dem Menschen auch vom Schöpfer gestattet, dazu ist der Mensch auch berufen, allerdings nur auf rechtmäßigem Wege. So großartig ist der Mensch! Das ist der Grund, warum er manchmal auch so wunderbar erscheint, ungeachtet dessen, dass sein großartiges Wesen quasi wie in einem Grab liegt, das mit allerlei Ramsch an Erfahrungen, d.h. mit traurigen Erkenntnissen und Empfindungen, unnützen Angelegenheiten, Interessen und Aufgaben u. ä. überdeckt ist. „Der Mensch bleibt in seiner Ehre nicht!“ (Ps. 48,13).

Deshalb haben viele Menschen in der Jugend - einige auch für immer - die Fähigkeit, die Tiefe der menschlichen Seele durch ihre Erfahrung zu erkennen. Mit dem Alter jedoch zwingt einen der ständige Kontakt mit dem alten, sprich empirischen Menschen, dazu, diesem mit Vorsicht zu begegnen, wozu auch der Heiland aufruft. Ich werde nicht weiter darüber schreiben, obwohl sich noch Vieles dazu sagen ließe. Ich hoffe, dass es auch so verständlich war.

Ich habe in den letzten Tagen, wenn auch sehr schnell, die „Brüder Karamasow“ gelesen. Hier breitet sich wahrhaftig die menschliche Seele vor einem aus! Was für eine bemitleidenswerte Parodie ist im Anbetracht der Psychologie Dostojewskis dagegen die wissenschaftliche Psychologie! Ich war einmal so naiv, dass ich mit Hilfe von Kursen in Psychologie die Seele erkennen wollte. Was macht man nicht alles für Dummheiten, wenn man jung ist und niemanden hat, der einen geleitet. Ich habe mich damals wirklich wie in einem Wald gefühlt. Der Fürst dieser Welt lässt die Menschen so blind werden, dass die Blinden sich nur tastend vorwagen und deshalb in einem fort in die eine Pfütze und dann in die nächste treten.

Die Wissenschaft ist eine Lüge, wenn man ihre Angaben als absolut annimmt, denn die Wissenschaft von morgen wird die von heute widerlegen. Die Kunst ist in den meisten Fällen eine bewusste Fälschung. Die Politik war immer voller Betrug, Lüge und Verbrechen. Hier muss man alles umgekehrt verstehen. Das aber, was als das Leben bezeichnet wird, das Handeln und Wandeln, ist eine einzige Hektik und, was das wichtigste ist, durchweg kleinlich, leer und verlogen. Mit einem Wort, wir leben im „Zeitalter der Lüge“, es ist das Reich des Fürsten dieser Welt.

Ich schreibe diesen Brief am Morgen, mit frischem Kräften. Deshalb habe ich auch so viel geschwatzt und mich auf das Feld der „Philosophie“ begeben.

Mein Lieber, versuche aus dem Trubel der Welt auszubrechen und dich auf das Wesen zu konzentrieren, wie du es einmal selbst ausgedrückt hast. Das heißt also, dich aus dem Bereich der Empirie in das Feld der Vernunft zu begeben, wo Wahrheit, Frieden und Freude herrschen. Hänge dich an den Heiland. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er ist die Pforte, nur mit Ihm und durch Ihn kannst du zum wahren ewigen Leben gelangen. Nur mit Seiner Hilfe kann man sich aus dem Wirrwarr im Reich des Teufels losreißen und in das Reich Gottes gelangen.

Wir alle sind mit Gerümpel überschüttet, doch trotzdem leuchtet darunter immer noch ein Fünkchen unseres wahren Ichs empor.

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Der Heilige Isaak der Syrer schreibt in seiner zweiten Homilie: „Versuche, in deinen inneren Kern einzutauchen, dann wirst du auch den himmlischen Kern erblicken, weil beide ein und dasselbe sind. Wenn du in das eine hineintrittst, dann siehst du beide. Die Treppe, die zu jenem Reich führt, ist in dir, versteckt in deiner Seele. Vertiefe dich in dich selbst, fliehe die Sünde und du wirst die Leiter finden, auf der es dir möglich sein wird, hinaufzusteigen“. (Homilie 2; Seite 14)

Auch der Herr hat gesagt: „Das Reich Gottes ist in euerm Inneren“ (Lk. 17,21). Das ist der Grund, warum die Heiligen Väter allen so eindringlich empfehlen, wenn möglich immer das Jesusgebet zu sprechen. Durch dieses gelangt der Mensch in sein Inneres. Ich schreibe dir darüber jetzt, weil es während langer Gottesdienste, besonders während der Großen Fastenzeit, sehr bequem und leicht ist, das Jesusgebet über einen längeren Zeitraum zu sprechen. Ich rate dir sehr, diesen Rat der Heiligen Väter nicht zu missachten. Der Teufel versucht auf verschiedene Weise, einen Menschen davon abzuhalten. Das sollte man wissen und sich dagegen wappnen. Deshalb auch sollte man sich zu diesem wunderbaren Gebet immer wieder anhalten.

Der Herr hat uns den Weg in das Gottesreich bereits hier eröffnet. Wir aber suchen jämmerliche Krumen der Wahrheit in der Wissenschaft, der Philosophie und wo auch immer, nur nicht im Evangelium und bei den Heiligen Vätern, die das Evangelium in ihrem Alltag zum Leben erweckt haben. Was sind wir doch für bedauernswerte Menschen! Wir selbst reduzieren unser Leben auf ein unglückliches, halb tierhaftes Existieren und machen noch andere für die Schwere des Lebens verantwortlich. Wir empfangen, was wir verdient haben.

14/III. Mir ist noch eingefallen, was ich dir noch sagen wollte. Du könntest dich doch, wenn du in den Vorlesungen sitzt, nicht zuhören möchtest, aber nichts anderes tun darfst, im Jesusgebet üben. Warum auch nicht? Dieses Wort „üben“ gebrauchen viele Menschen sehr oft, doch es beweist nur, dass die, die es benutzen, nicht wissen, was Beten bedeutet. Ein Mensch sollte das Beten nicht üben (man könnte ja eben noch weiter gehen und hier von trainieren sprechen!). Er sollte vielmehr mit äußerster Ehrfurcht vor Gott stehen und sich bewusst sein, dass er völlig unwürdig ist, den Namen Gottes auch nur auszusprechen, geschweige denn um die Barmherzigkeit und Nachsicht Gottes zu bitten. Man sollte von daher voller Aufmerksamkeit und Ehrfurcht die Worte des Gebets sprechen.

Ein rechtes Gebet zeigt dem Herzen sehr schnell, wie ein Gebet sein sollte. Es ist uns das Gebot gegeben: „Betet ohne Unterlass“ (1. Thess. 5,17). Mit Hilfe des Gebets erhebt sich der Mensch von der Erde und wird unerreichbar für jegliches Ungeziefer, das tief geduckt über die Erde kriecht. Durch das Gebet gelangt der Mensch zur Freiheit und entweicht wie ein Vogel allen Widrigkeiten. Dies meinen die Heiligen Väter, wenn sie sagen: „Löse dich von der Erde“.

Wir jedoch haben uns ganz im Gegenteil von Gott gelöst und uns an die Erde geheftet, kriechen auf ihr und ernähren uns von ihrem Staub, d.h. von unseren Leidenschaften. Damit quälen wir uns aber nur selbst und andere. Wir folgen unserem eigenen Licht, weil wir das Licht Gottes verschmäht haben. Der Satan hat Jesus Christus alle Reiche dieser Welt für eine einzige Verbeugung vor ihm angeboten, wir jedoch verbeugen uns für einen Teller Linsen nicht nur immer wieder, wir dienen ihm sogar, sind seine Helfershelfer und erkennen dies noch nicht einmal. So erblindet unsere Seele langsam im Gehetze des Alltags. Hier gilt es des Wortes zu gedenken: „Macht eure Herzen nicht schwer durch Völlerei, Trunksucht und das Gehetze des Alltags“ (Lk. 21,34).

Ja, in der Tat, fällt der Mensch, „der seine Ehre nicht erkennt“ (Ps. 48,13), hinab auf die Stufe der unmündigen Tiere und wird ihnen gleich.

Verzeih mir bitte, dass ich dir Ratschläge geben, die du gar nicht erbeten hast. Aber vielleicht bleibt irgendwas bei dir hängen. Ich aber „lenke mein Herz ab“, denn ich rede hier und tue nicht das, was ich tun sollte. Wehe mir!

Ich mag die große Fastenzeit!

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